Bernd Beirow,
``Nutzung neuronaler Netze zur Lösung dynamischer Problemstellungen bei turmartigen Bauwerken ''


Turmartige Bauwerke sind im besonderen Maße Wind- und Eiseinwirkungen ausgesetzt, sei es durch Extrem- oder Dauereinwirkungssituationen, und damit aufgrund ihrer Schlankheit schwingungsanfällig. Die Kenntnis des Schwingverhaltens, d.h. der Zusammenhang zwischen beliebiger Einwirkung und Systemantwort, ist hinsichtlich der Beurteilung der Nutzungsfähigkeit von besonderem Interesse. Bei bekanntem mechanischen System kann mittels herkömmlicher Verfahren die Systemantwort im Falle bekannter Erregung berechnet werden. In der Regel sind die Einwirkungen jedoch stochastischer Natur, Erregermechanismen und -arten mischen sich. Der Einsatz dieser Methoden ist daher u. U. mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Da zur Beurteilung der Güte der Rechnungen ohnehin eine Vergleichsbasis in Form von Wind- (Einwirkung) und Schwingungsmessungen (Antwort) geschaffen werden muß, stellt deren Nutzung zum Training eines neuronalen Netzes eine zweckmäßige Alternative zur Ableitung des angesprochenen Zusammenhanges dar. Dieses hybride Verfahren gewinnt vor allem aus den Tatsachen an Bedeutung, daß die Kenntnis des mechanischen Systems nicht notwendig ist und sich neuronale Netze zur Abbildung unscharfer Zusammenhänge besonders eignen. Im April 1997 wurde durch den Lehrstuhl für Statik und Dynamik der BTU Cottbus ein den spezifischen Bedingungen von Fernseh- und Fernmeldetürmen angepaßtes Monitoringsystem im Fernmeldeturm (FMT) Cottbus installiert, welches permanent Schwinggeschwindigkeiten aufgezeichnet. Parallel erfolgt durch den Lehrstuhl für angewandte Physik die meßtechnische Erfassung des Windes. Die Meßdaten liegen jeweils in Form von 10-Minutenmittelwerten vor. Durch Vorklassierungen der Meßdaten werden die jeweiligen Erregermechanismen berücksichtigt. Die klassierten Daten werden dann zum Training eines feed forward-Netzes (im einfachsten Fall 2 Eingänge mit Windmeßdaten, 2 Ausgänge mit Schwingungsmeßdaten) nach dem Lernverfahren Backpropagation mit Momentumterm verwendet. Die Anwendung des Verfahrens wurde bisher bei Auftreten wirbelinduzierter Schwingungen erfolgreich getestet. Ein weiteres Anwendungsgebiet neuronaler Netze in der Baudynamik ist im Bereich der Identifikation globaler Bauwerksänderungen angesiedelt. Als praktisches Beispiel dient auch wieder der FMT Cottbus. Hier wird allerdings die Kenntnis des mechanischen Systems vorausgesetzt. Als Indikatoren für die angesprochenen Änderungen können - meßtechnisch erfaßbare - Änderungen modaler Parameter (z. B. Eigenfrequenzen) fungieren. Durch Simulationsrechnungen mit Hilfe eines um Schadensmodelle erweiterten Rechenmodells muß ein Musterkatalog erstellt werden, der möglichen Änderungen nach Ort und Intensität (lokale Steifigkeitsänderungen) die entsprechenden geänderten modalen Parameter zuordnet. Die Indentifikationsprozedur besteht nun darin, rückwärts aus gemessenen Änderungen modaler Parameter die zugehörigen Bauwerksänderungen im Rahmen des verwendeten Modells zu diagnostizieren. Diese Vorgehensweise würde allerdings einen sehr großen Musterkatalog erfordern, dessen Erstellung durch Simulationsrechnungen allein zu aufwendig wäre. Durch Verwendung einer geringen Anzahl ausgewählter Simulationsrechnungen für das Training eines neuronalen Netzes (feed forward, Backpropagation mit Momentum term) gelingt die Ableitung des Zusammenhangs für beliebige Eingangsgrößen mit erheblich reduziertem Aufwand.

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Holger Koch, 4. August 1998